Zitat: Das subjektiv Gute und das objektiv Gute

„Gut ist, was gefällt“ – Eine radikale subjektivistische Umdeutung hat der Begriff des Guten erfahren. Das neuzeitliche Denken vertritt die Auffassung, daß ein Ding zu einem Gut wird, weil der Betrachtende diesem Ding einem Wert beimißt. Der Wert ist nicht etwas dem Ding Anhaftendes, sondern läge (ausschließlich) im Auge des Betrachters. Die Kausalität läuft vom Menschen zu den Dingen, die je nach Zeit und Ort den Charakter eines Gutes annehmen und auch wieder verlieren können. Gut ist, was nützlich ist oder was gefällt. Eine allgemein verbindliche Güterhierarchie existiert nicht.

Gegen diese subjektivistische Lehre steht die Auffassung, daß das Gute dasjenige ist, wonach alles strebt. (Aristoteles, Nikomachische Ethik). Ein guter Mensch ist demnach derjenige, der das Menschsein vollumfänglich entfaltet hat. Ein solcher Mensch wird auch als tugendhafter Mensch bezeichnet.

Das Summum Bonum, das höchste Gut ist dem Menschen vor- und aufgegeben, es ist objektiv erstrebenswert aus keinem anderen Grund, weil es das höchste Gut ist. Die weiteren Güter sind dem höchsten Gut zu- und untergeordnet.

Einige Zitate von Platon, Josef Kleinhappl, S.J. und Dietrich von Hildebrand sollen diesen Unterschied verdeutlichen.

Platon

„[D]enn da es insgesamt dreierlei Dinge gibt, auf die jeder Mensch sein Streben richtet, so ist die Sorge um das Geld, sofern sie in der richtigen Weise geschieht, das dritte und letzte, das mittlere ist die Sorge um den Leib, das erste die um die Seele.“

[…]

„Die Gesetze der Kreter genießen nicht ohne Grund unter allen Hellenen einen besonders guten Ruf; denn sie sind richtig, weil sie diejenigen, die nach ihnen leben, glücklich machen. Denn sie verschaffen ihnen alle Güter. Güter aber gibt es von zweierlei Art, die einen sind menschlich, die andern göttlich; von den göttlichen aber sind die andern abhängig, und wenn eine Stadt die größeren bei sich aufnimmt, so erwirbt sie auch die kleineren; wenn nicht, so büßt sie beide ein.“

Josef Kleinhappl, S.J.: Christentum und Kapitalismus

„G ü t e r  sind Dinge, die angestrebt werden, weil sie dem Menschen Erhaltung, Ergänzung oder Erfüllung seines Wesens bieten oder versprechen. – Die Voraussetzung des Strebens nach den Dingen ist das Urteil, daß sie erhaltende, ergänzende oder erfüllende Eigenschaften haben.“ (S. 75)

Dinge sind Güter, und Güter werden angestrebt, weil sie gut sind; sie sind nicht deswegen Güter, weil sie angestrebt werden. Das Urteil über die Eignung kann unzutreffend sein; die Zielsetzungen der Menschen sind oft willkürlich; daraus aber zu schließen, daß die Dinge erst vom Begehren zu Gütern gemacht werden, ist unrichtig.

[…]

Da die Sittenlehre den Weg zum Endziel weist, stellt sie auch die Rangordnung der Güter auf. Das höchste und unbedingte Gut ist Gott, dann folgt, was den Menschen Gott ähnlich macht und ihn mit Gott verbindet: Heiligkeit und Tugend.

Hierauf kommen die inneren Güter der Geistseele: Wissen und Willensstärke. An diese reihen sich die äußeren Güter der Ehre und Freiheit. Dann erst kommen die inneren Güter des Leiblebens, wie Gesundheit, Kraft, Unversehrtheit.

An letzter Stelle stehen die äußeren, stofflichen Güter.

Dietrich von Hildebrand: Christliche Ethik

Darum ist der Unterschied zwischen der egozentrischen Lust, die Aristippos als das einzig wahre Gut hinstellte, und dem Glück, nach dem Sokrates und Platon rangen, kein bloßer Gradunterschied sondern einer des Wesens. Egozentrisches Glück zehrt sich auf die Dauer selbst auf und endet in Langeweile und Leere. Das beständige Genießen des bloß subjektiv Befriedigenden wirft uns schließlich in unsere eigene Begrenztheit zurück und kerkert uns in uns selbst ein.

[…]

Das echte, tiefe Glück, das der Wert in uns bewirkt, schließt notwendig ein Wissen um die innere Bedeutsamkeit des Gegenstandes ein. Dieses Glück ist wesenhaft ein Begleitphänomen, denn es ist in keiner Weise die Wurzel dieser Bedeutsamkeit, sondern strömt als Überfluß aus ihr hervor. […]

Der Wert ist hier das principium (das Bestimmende) und unser Glück das principiatum (das Bestimmte).

Im Falle des subjektiv Befriedigenden dagegen ist unser Vergnügen das principium und die am Gegenstand haftende Bedeutsamkeit des Angenehmen oder Befriedigenden das principiatum.

[…]

Die Forderung eines echten Wertes nach adäquater Antwort ergeht an uns in souveräner, aber unaufdringlicher, sob-er-er Weise. Sie appelliert an unser freies Personenzentrum. Die Anziehungskraft des subjektiv Befriedigenden lullt uns dagegen ein und versetzt uns in einen Zustand, in dem wir dem Instinkt nachgeben; sie hat die Tendenz, unser freies Personenzentrum zu entthronen.

[…]

Die Rolle des objektiven Gutes für die Person tritt in unserer intentio benevolentiae gegenüber geliebten Person evident hervor. Wir sehnen uns, den Geliebten glücklich zu machen, wir wollen ihn mit Wohlstaten überhäufen und alles für sein Bestes tun. Wir fragen nicht, was ihn subjektiv befriedigen mag, sondern vielmehr, was objektiv gut für ihn ist.

[…]

Der große und entscheidende Unterschied im sittlichen Leben eines Menschen liegt gerade darin, ob er die Welt vom Gesichtspunkt des Wertes oder des bloß subjektiv Befriedigenden betrachtet. Es ist die berühmte Unterscheidung, die der hl. Augustinus in De civitate Dei  in die Worte faßt: „Doch es gibt nicht mehr als zwei Arten von menschlichen Gesellschaften, die wir gemäß der Schrift die beiden Staaten nennen können. Den einen bilden die Menschen, die nach dem Fleische, den anderen, die nach dem Geist leben.“ (XIV, 1)

[…]

Wie wir weiter sahen, ist es vom Wertstandpunkt aus nichts Negatives, wenn sich eine Person an angenehmen Gütern freut, im Gegenteil, es ist wertvoll. Wir sollen sogar das Geschenk, uns angenehmer Dinge zu erfreuen, würdigen. Doch wir gehen am vollkommensten auf sie ein, wenn wir ihren gottgegebenen Sinn als objektive Güter für uns verstehen.

Eine subjektivistische Leseweise des Guten führt in weiterer Konsequenz zur Durchsetzung des Laissez-faire in allen Lebensbereichen. Weil das objektive Gute nicht existiert und daher alles erlaubt sein soll, was gefällt, darf der Staat und die Gesellschaft keine

Diese Unterscheidung zwischen dem Streben nach dem (ewigen) Glück durch die gelebte Verwirklichung des objektiv Gegebenen und dem Streben nach der vergänglichen Lustbefriedigung des subjektiv Angenehmen strahlt in alle Lebensbereiche aus. Dort wo die subjektivistische Wertauffassung vorherrscht, verflachen menschliche Konversationen, weil sie nur mehr um das Oberflächliche des sinnlich Wahrnehmbaren kreisen. Auf dieser Grundlage bilden sich zudem tendenziell Gesellschaftsauffassungen des egalitären Laissez-faire heraus, auch wenn wie z.B. bei Thomas Hobbes die vom Subjektivismus in ihren Grundfesten erschütterte Gesellschaft eines starken Staates bedarf, um die Zentrifugalkräfte des Wertsubjektivismus daran zu hindern, ihre gesellschaftsauflösende Wirkung vollständig zu entwickeln.

Das Wissen um die geistige Wirklichkeit der überindividuellen Wertehierarchie, jener objektiven, von Gott eingesetzten Ordnung von der Augustinus als der ordo amoris, der Ordnung der Liebe spricht, verpflichtet hingegen die natürlichen Verantwortungsträger, beginnend bei den Eltern bis hinauf zum Staatsmann, die ihnen Anvertrauten auf das objektiv Gute hinzuordnen bzw. hinzuführen und jeden Einzelnen, die Annehmlichkeiten der materiellen Güter nicht auf sich selbst zu beziehen sondern in den Dienst des Summum Bonum, also Gottes zu stellen.

 

 

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